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Frühe Zentralisierungs- und Urbanisierungsprozesse
Zur Genese und Entwicklung frühkeltischer Fürstensitze und ihres territorialen Umlandes
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Antrag des SPP



0. Zusammenfassung

Von prägender Bedeutung für die Entwicklung der europäischen Geschichte waren historische Prozesse, die sich um die Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. nördlich der Alpen vollzogen. Den Beginn dieser Veränderungen markiert um 600 v. Chr. die Entstehung der nordwestalpinen Späthallstattkultur, die maßgeblichen Anteil an der keltischen Ethnogenese hatte, ihren Abschluss die Devolutionsphase des 4. Jahrhunderts v. Chr., die in der keltischen Völkerwanderung resultierte.

Archäologisch hebt sich die frühkeltische Zivilisation des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr. einerseits durch die engen Kontakte zur mediterranen Welt, andererseits durch die Entstehung komplex strukturierter Siedlungszentren (sog. Fürstensitze) und exzeptionell luxuriös ausgestatteter Prunkgräber (sog. Fürstengräber) von den vorausgehenden und benachbarten prähistorischen Kulturen deutlich ab. Die Befunde deuten tiefgreifende soziale Veränderungen an: die Konzentration politischer Macht und ökonomischen Reichtums in den Händen einer privilegierten sozialen Gruppe sowie die damit einhergehende Integration lokaler oder kleinregionaler Gemeinschaften in überregionale Verbände. Die Frage, ob es sich dabei um die Entstehung aristokratischer Dynastien bzw. primärer Königtümer handelt, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Ein wesentlich vertieftes Verständnis dieser frühen, offensichtlich mit ersten Schritten einer Urbanisierung einhergehenden Zentralisierungsprozesse lässt sich nur durch eine systematische, auf neue Quellen und Methoden gestützte Analyse der Siedlungsgefüge erreichen. Zentrales Anliegen des geplanten Schwerpunktprogramms (SPP) ist daher die diachrone, sozialhistorische Erforschung jener Prozesse, in deren Verlauf es zur Herausbildung der Fürstensitze kam.

Die Entwicklung und Anwendung neuer Methoden zur sozialhistorischen Interpretation prähistorischer Quellen ist ein dringendes Forschungsdesiderat. Neu in diesem Zusammenhang ist das Anliegen des SPP, die Erforschung dieser Problematik vorrangig mit Hilfe der Siedlungsquellen und nicht, wie bisher, der Grabfunde weiterzuentwickeln. Neben der Quellenerschließung durch gezielte Ausgrabungen in Zentralorten und ihrem Umfeld kommt dabei der Modellbildung im Rahmen der geplanten althistorisch-archäologischen und kulturgeographischen Projekte zur Analyse besser dokumentierter, analoger Zentralisierungsprozesse tragende Bedeutung zu. Eine methodische Herausforderung ist das formulierte Ziel, die mit der Zentralisierung erwartungsgemäß einhergehende kulturelle und politische Integration von Lokalgruppen in überregionale Verbände archäologisch nachzuweisen. Damit werden beispielhaft auch Fragen der Ethnogenese und der Identifikation von Territorien in ur- und frühgeschichtlicher Zeit thematisiert. Bisher ebenfalls ohne Vorbild ist der Plan, über Verwandtschaftsanalysen den biologischen Nachweis dynastischer Gesellschaftsstrukturen zu erbringen. Gezielte paläogenetische Untersuchungen an menschlichen Skelettserien sollen die Siedlungsentwicklung vor dem Hintergrund der zu erschließenden Verwandtschafts- und Filiationssysteme der sozialen Elite beleuchten.

Diese innovativen Ansätze, gepaart mit einem paläoökologischen Methodeninstrumentarium und der gezielten archäologischen Erschließung neuen Quellenmaterials, lassen wesentliche Erkenntnisfortschritte erwarten, die über das Thema des SPP hinausweisen und der Archäologie und ihren Nachbarwissenschaften neue methodische und inhaltliche Impulse vermitteln werden. Um diese Ziele zu erreichen, ist eine enge Kooperation von Vertretern archäologischer, althistorischer, kulturgeographischer, geowissenschaftlicher und biowissenschaftlicher Disziplinen notwendig. Regional unterschiedliche Forschungsvoraussetzungen, das aus der Interdisziplinarität resultierende breite Methodenspektrum und die vorgesehene internationale Zusammenarbeit erfordern ein hohes Maß an Koordinierung. Das Forschungsvorhaben wird sich nur im Rahmen eines SPP realisieren lassen.
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1. Wissenschaftliches Programm

1.1. Themenstellung und Terminologie
Thema des beantragten Schwerpunktprogramms (SPP) ist die Erforschung jener historischen Prozesse, die während der Hallstatt- und Frühlatènezeit (7.-4. Jahrhundert v. Chr.) zur Entstehung und Etablierung der keltischen Zivilisation in Mittel- und Westeuropa führten. Nur die Endphase dieser äußerst dynamischen Veränderungen wird durch die antiken Schilderungen der keltischen Expansionen schemenhaft beleuchtet. Archäologisch manifestiert sich diese Periode dagegen eindrucksvoll u.a. in monumental überhügelten und exzeptionell reich ausgestatteten Prunkgräbern, die häufig im Umfeld sogenannter Fürstensitze angelegt worden sind (Fischer 1982; Kurz/Schiek 2002). Beide Phänomene, Prunkgräber und Fürstensitze, treten nördlich der Alpen im 7. Jahrhundert auf und verschwinden im 4. Jahrhundert v. Chr. nahezu völlig.

Als Fürstensitze werden in der Prähistorischen Archäologie entsprechend der in den 1960er Jahren entwickelten Modellvorstellung von Wolfgang Kimmig (1969) befestigte Siedlungen bezeichnet, für die sowohl ein topographischer Bezug zu gleichzeitigen Prunkgräbern als auch mediterrane (griechische und etruskische, seltener vorderasiatische) Importfunde nachweisbar sind. Archäologische Fundstätten, die diese Kriterien erfüllen, sind mit einem deutlichen Schwerpunkt in Ostfrankreich, Südwestdeutschland und der Schweiz bekannt (Abb. 1). Südlich der Donau und in Teilen Frankens treten dagegen befestigte Rechteckhöfe, sog. Herrenhöfe, auf. Hier zeichnen sich Bedeutungshierarchien und regionale Besonderheiten ab.

Der fortgeschrittene Forschungsstand erfordert jedoch inzwischen die kritische Hinterfragung des Fürstensitz-Konzeptes (z.B. Eggert 1989). In diesem Zusammenhang müssen Termini wie Zentralort, komplexes Zentrum und Zentralität in die Diskussion neu eingeführt werden, um die vorhandenen archäologischen Daten in einen einheitlichen Bezugsrahmen setzen zu können.

Als komplexe Zentren werden ur- und frühgeschichtliche Siedlungen bezeichnet, die nach Ausweis der archäologischen Quellen mehrere zentralörtliche Funktionen in sich vereinigen (Gringmuth-Dallmer 1996). Neben funktionalen Kriterien, wie einer fortifikatorischen, ökonomischen, kultisch-religiösen und administrativen Bedeutung für das jeweilige Umland, können weitere qualitative und quantitative Parameter definiert werden. Entsprechende Merkmale sind z.B. die Größe des befestigten Areals, das Vorhandensein von Außensiedlungen, Handwerkervierteln, Architekturformen etc. Damit wird eine Hierarchisierung von synchronen Siedlungen auf regionaler und überregionaler Ebene nach funktionalen Kriterien sowie quantitativen und qualitativen Daten möglich.

In der diachronen Perspektive ergibt sich die Möglichkeit, Zentralisierungsprozesse zu rekonstruieren. Unter Zentralisierungsprozessen in Siedlungssystemen kann man die raumzeitliche Herausbildung einer zentralörtlichen Hierarchie verstehen, die durch ein klar erkennbares Anwachsen eines funktionalen Bedeutungsüberschusses von Siedlungen gegenüber ihrem Umland und benachbarten Siedlungen zu beschreiben ist.

Vor dem Hintergrund des aktuellen Quellen- und Forschungsstandes ist zu fragen, ob solche Zentralisierungsprozesse um die Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. zu einer ersten Urbanisierung geführt haben. Trifft dies zu, dann könnte es sich bei einigen der komplexen Zentren, wie z.B. der Heuneburg, dem bislang am besten erforschten Fürstensitz, um die ältesten Städte nördlich und nordwestlich der Alpen handeln. Der Begriff Stadt wird hier im Sinne von Bernhard Hänsel (1999) nicht als Rechtsbegriff verwendet, sondern im Rahmen des durch die archäologischen Quellen Beurteilbaren gesehen.

Übergeordnetes Thema des SPP ist die soziale Entwicklung während einer prähistorischen Umbruchphase, also die Frage nach jenen Individuen, Gruppen, Institutionen und Prozessen, welche die archäologisch nachweisbare Dynamik im Siedlungsgeschehen und darüber hinaus im gesamtkulturellen Wandel bewirkten. Zentralisierung und Urbanisierung auf der Siedlungsebene erforderten auf der sozialen Ebene die Integration von Primärgruppen in relativ komplex organisierte Sekundärgruppen. Damit werden Prozesse der Staatenbildung und Ethnogenese thematisiert.

Integration meint dabei vorrangig die politische und ökonomische Eingliederung vormals unabhängiger Einheiten (lokale oder kleinregionale Gemeinschaften, Klane, Stämme) in größere Strukturen, also den Übergang von einer segmentären zu einer im Ansatz zentralisierten Gesellschaft im Sinne E. Durkheims. Die Formen und Wege der frühkeltischen Integrationsprozesse und die territorialen und demographischen Dimensionen dieser frühen zentralisierten Gesellschaften sind bisher kaum Gegenstand systematischer archäologischer Forschung gewesen (jetzt: Garcia/Verdin 2002). Entsprechend dem Erkenntnispotential archäologischer Quellen und der Thematik des SPP wird Territorium pragmatisch als geographischer Raum, der nach Kriterien der Siedlungshierarchie zur Einflusssphäre eines Zentralortes gehört, definiert. Davon zu unterscheiden sind kulturelle Räume, d.h. Cluster lokaler Gemeinschaften, deren materielle, archäologisch fassbare Kultur auf Grund gemeinsamen Ursprungs oder kultureller Transmission einen relativ hohen Grad kultureller Übereinstimmung besitzt.


1.2. Forschungsstand

1.2.1. „Fürstensitze“ der Späthallstatt- und Frühlatènezeit: Forschungsstand und Quellenlage
Die zumeist auf markanten Berghöhen angelegten und teilweise mit monumentalen Gräben und Mauern befestigten Siedlungen der Späthallstatt- und Frühlatènezeit zogen das Interesse der Altertumsforschung bereits im 19. Jahrhundert auf sich. Eine systematische Erforschung einzelner Anlagen setzte in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts ein. Wesentliche Erkenntnisfortschritte wurden aber erst durch die von 1950 bis 1979 durchgeführten Ausgrabungen auf der Heuneburg erzielt. Da aber entsprechende Untersuchungen in vergleichbaren Siedlungen bis heute unterblieben, erlangte die Heuneburg in der archäologischen Forschung paradigmatische Bedeutung als Idealtypus eines Siedlungs- und Machtzentrums einer Randkultur der antiken Welt in archaischer Zeit. Auf diesem Beispiel basierte auch das von W. Kimmig (1969; 1983) entwickelte Fürstensitz-Modell. Kimmig schloss von den im Umfeld der Heuneburg bekannten reichen Prunkgräbern, sog. Fürstengräbern, auf eine Funktion der Siedlung als politisch-administratives Zentrum, eben als „Dynasten-„ oder „Fürstensitz“. Eine vergleichbare Funktion nahm er für eine Reihe von befestigten Anlagen an, die einerseits mediterrane Importfunde, andererseits reiche Prunkgräber im Umfeld aufwiesen (Abb. 1). Obwohl dieses Modell hypothetisch bleiben musste, da die betreffenden Plätze nie ausreichend archäologisch untersucht wurden, bestimmt es die Rekonstruktion der späthallstattzeitlichen Sozial- und Siedlungsstrukturen in ganz Mitteleuropa bis heute.

Wie lückenhaft unser Wissen ist, zeigen Entdeckungen der letzten Jahre: So fanden sich etwa auch in unbefestigten Siedlungen, die man herkömmlich nicht als Fürstensitze klassifizieren würde, griechische Importkeramik und Reste mediterraner Pflanzen wie Feige und Koriander (Eberdingen-Hochdorf, Bad Nauheim, Mardorf, Bragny).

Ebenso bedeutsam ist die Entdeckung rechteckiger Hofanlagen (sog. Herrenhöfe) - ebenfalls mit Importkeramik - in unmittelbarer Nachbarschaft des anzunehmenden Fürstensitzes Ipf im Nördlinger Ries (Krause 2002a). Den hierarchischen Zusammenhang gilt es noch zu klären.

Ein völliges Novum ist die Entdeckung von Heiligtümern im Vorfeld des Mont Lassois (Burgund) und des Glaubergs (Hessen). Die dort gefundenen Steinskulpturen - wahrscheinlich Darstellungen der Bestatteten - beweisen ein bisher ungeahnt hohes Niveau der einheimischen großplastischen Kunst und enge Beziehungen der sozialen Elite zur mediterranen Welt.

Des Weiteren zeichnet sich inzwischen durch neue Geländearbeiten ab, dass einige Fürstensitze sich nicht allein auf die als Geländemarke leicht erkennbaren Höhenbefestigungen beschränkten, sondern von ausgedehnten Suburbien und offenen ländlichen Siedlungen umgeben waren (Mont Lassois, Heuneburg, Ipf, Bad Dürkheim, Ehrenbürg).

Durch die Entdeckungen der letzten Jahre ist somit schlaglichtartig klar geworden, dass Größe und Komplexität der „Fürstensitze“ bisher unterschätzt worden sind. Die demographischen, ökonomischen, politisch-administrativen oder religiösen Dimensionen und Funktionen dieser offensichtlich keineswegs einheitlich strukturierten Siedlungen und ihr Verhältnis zum Umland lassen sich beim derzeitigen Forschungsstand aber nicht hinreichend beurteilen. Es mangelt insbesondere an gezielten archäologischen Ausgrabungen in den Suburbien. Ein weiteres Desiderat sind archäologische und naturwissenschaftliche Prospektionen, Sondagen und Datenerhebungen im Umfeld der Zentralorte. Von herausragender Bedeutung werden dabei exemplarische Untersuchungen offener ländlicher Siedlungen sein. Erst sie ermöglichen eine Beurteilung der Reziprozität von Zentrum und Umland (z.B. Kurz 2001).


1.2.2. Soziale Evolution im 1. Jahrtausend v. Chr.: Forschungsstand und Forschungsperspektiven im internationalen Vergleich
Der Soziographie prähistorischer Gesellschaften sind methodisch enge Grenzen gesetzt. Insbesondere die Identifikation von Machtstrukturen, Herrschaftsformen und Führungsgruppen ist beim Fehlen schriftlicher Quellen problematisch. Vor diesem Hintergrund erscheint die Zurückhaltung gegenüber sozialhistorischen Deutungen archäologischer Funde und Befunde verständlich. Gerade die Hallstatt- und Frühlatènezeit bietet hier jedoch neue Ansatzmöglichkeiten. Dies liegt einerseits in der Tatsache begründet, dass zumindest die Spätphase der eisenzeitlichen Gesellschaftsentwicklung durch antike Schriftquellen bekannt ist: Die traditionelle Herrschaftsform bei den Kelten Galliens war demnach das Königtum, das sich vereinzelt noch bis zur Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. hielt. In caesarischer Zeit war das Land aber bereits in Civitates aufgeteilt, die bis zu mehrere Hunderttausend Menschen umfassen konnten und von Adelskoalitionen regiert wurden. Andererseits fordern die an Goldschmuck und mediterranen Importen außergewöhnlich reichen „Fürstengräber“ des 7. bis 4. Jahrhundert v. Chr. zu einer gesellschaftlich-hierarchischen Einordnung geradezu heraus. Folgende Hypothesen wurden zu solchen Gesellschaftssystemen in den letzten Jahrzehnten erarbeitet:

W. Kimmig (1969), E. Sangmeister (1994) und H. Zürn (1970) rekonstruierten in den 1960er Jahren für die späthallstattzeitliche Gesellschaft Württembergs eine vertikale soziale Stratifizierung in drei bis vier Schichten. In Analogie zur mittelalterlichen Feudalgesellschaft oder zur Aristokratie der früharchaischen Zeit wurden die reichsten Bestattungen einer Herren- oder Adelsschicht zugewiesen, die an der Spitze einer Gesellschaftspyramide gestanden haben soll. Die Mitte dieser Pyramide habe dagegen eine mehr oder weniger wohlhabende Schicht von Freien gebildet. In der Frage, ob an der Basis freie, aber arme Bauern oder Leibeigene bzw. Sklaven standen, unterschieden sich die Auffassungen. M. K. H. Eggert (1991) stellte dagegen die These auf, dass es sich bei den sog. Fürstengräbern um Bestattungen von Repräsentanten relativ kleiner Primärgruppen gehandelt hat. Er nahm also ein Nebeneinander von autonomen segmentären Gesellschaften von lokalem bis kleinregionalem Zuschnitt an.

In der aktuellen deutschsprachigen Diskussion dominieren Entwicklungsmodelle, die für den Zeitraum vom 7. bis 4. Jahrhundert v. Chr. eine zunehmende Konzentration der Macht in Form eines räumlichen und sozialen Zentralisierungsprozesses belegen (Sievers 1982; Pare 1991). Mediterranen Fremdeinflüssen in Form von diplomatischen Geschenken (Fischer 1973), Ideentransfer oder Handelsgütern billigt man dabei zwar weiterhin einen Einfluss auf Richtung und Geschwindigkeit des gesellschaftlichen Wandels zu, in Ergänzung dazu werden aber endogene Prozesse in einem neuen Licht betrachtet.

In der englischsprachigen Forschung herrschen seit einigen Jahrzehnten sozialhistorische Interpretationsmodelle vor, die sich zur Charakterisierung prähistorischer Gesellschaften terminologisch und theoretisch am ethnologischen bzw. sozial-/kulturanthropologischen Schrifttum orientieren. Dabei wurden in den 1970er und 80er Jahren zumeist neoevolutionistische Ansätze bevorzugt verwendet, etwa das idealtypische Sequenzsystem von M. H. Fried (1967) und E. Service (1962). Neuere, in den 1990er Jahren entwickelte Modelle vermeiden neoevolutionistische Begrifflichkeit (tribe, bigmansociety,chiefdom etc.) und verwenden neutralere Begriffe wie social elite (Diepeveen-Jansen 2001) oder governing elite (Arnold 1991; 1995). Letztlich werden diese Termini aber synonym zu „Adel“ oder „Aristokratie“ eingesetzt.

Der französische Forschungsansatz ist terminologisch und methodisch dem deutschen vergleichbar. Auch hier werden alt eingeführte Termini wie résidence princière im Bewusstsein um ihre Problematik weiterhin verwendet. Zur Rekonstruktion der soziopolitischen und sozioökonomischen Verhältnisse ergänzen wirtschafts- und sozialanthropologische Modelle das traditionelle archäologische Methodenspektrum (z.B. Brun 1987 u. 1997; Chaume 2001).

Bei allen terminologischen Unterschieden herrscht in der internationalen Forschung Einigkeit darüber, dass sich zwischen Ostfrankreich und Böhmen im 6. Jahrhundert v. Chr. soziale Organisationsformen entwickelten, die eine bis dahin nördlich der Alpen unbekannte Komplexität erreichten. Versuche, die prähistorischen Quellen als Ausdruck eines historisch dokumentierten (mittelalterliche Feudalgesell-schaft, homerische Gesellschaft etc.) oder ethnologisch (Stamm, Häuptlingstum, archaischer Staat) klassifizierten Gesellschaftstyps zu deuten, blieben jedoch unbefriedigend. Eine grundlegende Schwäche der bisher vorgelegten Modelle liegt darin begründet, dass sie vorrangig auf der Analyse der Gräberarchitektur und Grabbeigaben basieren. Durch die im beantragten SPP zusätzlich geplante systematische Erforschung sozialhistorischer Fragestellungen mit Hilfe der Siedlungsstrukturen werden inhaltliche und methodische Lösungen dieses grundsätzlichen Problems archäologischer Forschung angestrebt. Ein erfolgreiches Beispiel für eine vergleichbare Vorgehensweise hat Cunliffe (1991) für Südengland nur deshalb vorstellen können, weil dort ein sehr viel besserer siedlungs-archäologischer Forschungsstand gegeben ist. Hier besteht auf dem Kontinent noch grundlegender Nachholbedarf.


1.2.3. Vorarbeiten der Initiatoren und Teilnehmer
Der Antragstellung ging eine zweijährige Vorbereitungsphase voraus, in der die Initiatoren thematische und organisatorische Fragen im Rahmen von regelmäßig stattfindenden Arbeitstreffen in dem unter 4. und 5. aufgeführten Kreis sowie mit den im Untersuchungsgebiet zuständigen Leitern der archäologischen Denkmalpflege im Vorfeld geklärt haben.

Ein von der DFG finanziertes Rundgespräch, das im September 2002 in Marcenay-le-Lac in Burgund stattfand, diente u.a. der Abstimmung der deutsch-französischen Kooperation (vgl. 3.).

Die unter 4. und 5. aufgeführten Archäologinnen und Archäologen sowie einige der beteiligten Naturwissenschaftler beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Erforschung eisenzeitlicher Siedlungsstrukturen und mit Methoden zu ihrer sozialhistorischen Interpretation (vgl. Lit.-Verzeichnis).

Wertvolle Vorarbeiten stellen auch die von Teilnehmern erarbeiteten archäologischen (TOMBA: M. Egg/Ch. Pare) und biologischen Datenbanken (Botanik: Kreuz/Schäfer 2001; Zoologie: J. Schibler et. al.) dar, auf die in der Auswertungsphase des SPP zurückgegriffen werden kann.

Eine 1998 in Glux-en-Glenne durchgeführte internationale Tagung zum Thema „Les processus d’urbanisation à l’âge du fer - Eisenzeitliche Urbanisationsprozesse“ (Guichard/Sievers/Urban 2000) hat einerseits das Erkenntnispotential der Thematik, andererseits aber auch die Notwendigkeit einer verstärkten Einbeziehung von Alter Geschichte und Kulturgeographie (vgl. unten Arbeitsprogramm) verdeutlicht. Eine weitere Tagung zur diachronen Betrachtung von Prunkgräbern wird derzeit in Kiel organisiert (C. von Carnap-Bornheim/D. Krausse/A. Wesse).

Der unmittelbaren Vorbereitung des SPP dient ein Pilotprojekt, das vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg (J. Biel/J. Wahl) gemeinsam mit dem Institut für Zoologie und Anthropologie, Abteilung Historische Anthropologie und Humanökologie der Universität Göttingen (B. Hermann/S. Hummel) und dem Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel (D. Krausse) begonnen wurde. Es zielt auf die paläogenetische Verwandtschaftsanalyse von Individuen aus ausgewählten hallstattzeitlichen Prunkgräbern Südwestdeutschlands. Darüber hinaus führten Mitglieder des Programmausschusses und potenzielle Teilnehmer des SPP an mehreren bisher unzureichend erforschten Fürstensitzen bzw. Zentralorten Voruntersuchungen durch, um die Erhaltungsbedingungen und die Grabungssituation zu klären.

Für den Einsatz eines Geographischen Informationssystems (GIS) wurden bereits Informationen über die Datengrundlagen im Umfeld einzelner Fürstensitze eingeholt, um die Realisierbarkeit der Vorgehensweise, vor allem den zeitlichen Rahmen betreffend, besser abschätzen zu können (A. Posluschny/S. Sievers).

Neben Archäologinnen und Archäologen, die durch langjährige Erfahrung und innovative Ergebnisse auf dem Gebiet der eisenzeitlichen Siedlungsarchäologie ausgewiesen sind, konnten Fachvertreter der Alten Geschichte (F. Kolb), Kulturgeographie (A. Dix), Physischen Geowissenschaften (H.-R. Bork, J. Preuß), Anthropologie/Paläogenetik (B. Herrmann, K. W. Alt), Archäobotanik (A. Kreuz, J. Wiethold) und Archäozoologie (J. Schibler) in das beantragte SPP eingebunden werden. Auch sie sind durch einschlägige Vorarbeiten auf Forschungsfeldern, die für das SPP thematisch und methodisch relevant sind, ausgewiesen. Die organisatorischen und personellen Voraussetzungen für die erfolgreiche Realisierung des SPP sind somit als sehr gut zu bezeichnen.


1.3. Ziele, Fragestellungen, Methoden
Das beantragte SPP verfolgt nicht nur spezifische historiographische, sondern auch allgemeine methodische Ziele. Sein zentrales Anliegen ist es einerseits, ein wesentlich vertieftes Verständnis jenes dynamischen historischen Wandels zu erreichen, der zur Entstehung erster stadtartiger Siedlungen nördlich der Alpen führte. Andererseits will das SPP innovative Ansätze und Methoden entwickeln, die von grundlegender Bedeutung sind, um Fortschritte bei der siedlungsgeographischen und sozialhistorischen Interpretation prähistorischer Quellen - durchaus auch für andere Epochen - zu erzielen. Um eine inhaltliche Kohärenz aller Teilprojekte bei größtmöglicher Synergie zu gewährleisten, konzentriert sich der geplante Schwerpunkt auf drei Fragenkomplexe.


1.3.1. Morphogenetik, Funktion und Bedeutung der Fürstensitze
Durch die Nutzung der vorhandenen und die gezielte Erschließung neuer Quellen durch Ausgrabungen und Prospektionen wird eine einheitliche Erfassung der bekannten Fürstensitze bzw. komplexen Zentren mit definierten Kriterien ermöglicht. Es sind vier Untersuchungsebenen zu unterscheiden:

Auf der lokalen Untersuchungsebene der Fürstensitze ist zu fragen nach der Datierung der Gesamtanlage (Akropolis und Suburbium) und ihrer Infrastruktur sowie etwaiger Bauphasen und nach der fortifikatorischen, ökonomischen, kultisch-religiösen und politisch-administrativen Bedeutung. Dazu gehören auch Hinweise auf soziale, ökonomische und ethnische Segregation bzw. Varianz innerhalb der Siedlung.

Die regionale Untersuchungsebene umfasst das Umfeld des Fürstensitzes in einem Radius bis zu 15 km. Zu fragen ist nach der Lage des jeweiligen Zentralortes und der Nekropolen und Heiligtümer in Beziehung zu den ländlichen Siedlungen und ihrer funktionalen und hierarchischen Entwicklung im jeweiligen Umland. In diesem Zusammenhang ist eine Analyse der Standortfaktoren und der naturräumlichen Ausstattung sowie der Vegetationsentwicklung und der Landwirtschaftssysteme von Bedeutung.

Auf der überregionalen Untersuchungsebene erfolgt der Vergleich der erfassten Fürstensitze nach chronologischen, morphogenetischen und funktionalen Kriterien. Ziel ist es, die Bedeutung der Fürstensitze auf regionaler und überregionaler Ebene zu erschließen und damit ein Modell der dynamischen Siedlungshierarchie im gesamten Untersuchungsgebiet und über den gesamten Untersuchungszeitraum zu entwickeln. Dabei sind Chronologie und Chorologie der Prunkgräber zu berücksichtigen.

Schließlich muss auf der interkulturellen Untersuchungsebene nach exogenen, insbesondere mediterranen, Einflüssen und Vorbildern bei der Genese, der funktionalen Strukturierung und der architektonischen Ausgestaltung der Fürstensitze gefragt werden.


1.3.2. Soziale Evolution
Die Entwicklung und Anwendung neuer Methoden zur sozialhistorischen Interpretation prähistorischer Quellen ist ein dringendes Forschungsdesiderat. Archäologische Gesellschaftsmodelle basieren bislang vorrangig auf Grabfunden. Anliegen des geplanten SPP ist dagegen die – zusätzliche – systematische Erfassung und Auswertung von ausgewählten Siedlungsquellen unter sozialhistorischen Fragestellungen. Eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung komplexer Sozialsysteme, die eine ausgeprägte vertikale Stratifizierung, institutionalisierte Herrschaft oder Arbeitsteilung aufweisen, ist eine ausreichend große Bevölkerungsbasis. Die demographische Dimension der frühkeltischen Gesellschaften lässt sich nicht allein mit Hilfe der Grabfunde erschließen, da hier die Quellenbasis unsicher sein kann. Zuverlässigere Schätzungen werden die im Rahmen des SPP geplanten Untersuchungen der Fürstensitze liefern.

Durch die Analyse des Fundmaterials und der Baubefunde lassen sich spezifische soziale Gruppen, wie spezialisierte Handwerker oder Händler, fassen. Aber auch soziale Abstufungen, im Sinne von ökonomischem Wohlstand und Privilegien, ergeben sich durch eine vergleichende fundplatzchorologische Untersuchung von Bauformen und von Qualität und Quantität des archäologischen, botanischen, anthropologischen und zoologischen Fundspektrums.

Ergänzende Erkenntnisfortschritte und auch auf andere prähistorische Epochen übertragbare Methoden lassen die geplanten paläogenetischen Untersuchungen von Skelettmaterial erwarten. Im Mittelpunkt steht die Analyse von Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Individuen aus Prunkgräbern unterschiedlicher Fürstengräber. Ziel ist der Nachweis bzw. Ausschluss von verwandtschaftlich organisierten Eliten. Darüber hinaus kann das Verfahren wichtige Informationen zur Chronologie, zu den Filiationsprinzipien (z.B. Matri-, Patrilokalität) oder zur Mobilität in frühkeltischer Zeit liefern.

Das SPP zielt letztlich darauf, anhand repräsentativer Beispiele ein durch die archäologischen Quellen abgesichertes Modell der Zentralisierungsprozesse im 7.-4. Jahrhundert v. Chr. zu entwickeln. Im Vordergrund steht die Frage nach den Formen und Grundlagen politischer Herrschaft. Die antiken Schriftquellen liefern einerseits Hinweise auf aristokratische und monarchische Institutionen bei den Kelten, andererseits eine Vorstellung von den politischen Organisationsformen in archaischen Gesellschaften (z.B. „homerische Gesellschaft“). Hier ist mit Hilfe der Siedlungs- und Grabfunde und -befunde nach Übereinstimmungen und Unterschieden zwischen frühkeltischen und antiken Sozietäten zu suchen.


1.3.3. Integration und Territorialität
Genese, Entwicklung und Bedeutung der Fürstensitze können nur vor dem Hintergrund der allgemeinen Siedlungsentwicklung verstanden werden. Neben der intensiven Untersuchung der Zentralorte und ihres jeweiligen Umfelds sieht das SPP die überregionale, extensive Erfassung siedlungsarchäologisch relevanter Daten im süddeutschen Raum (Abb. 1) vor. Als Basis stehen Datensammlungen der archäologischen Denkmalämter zur Verfügung. Sie ermöglichen in Kombination mit palynologischen Daten die Erforschung der überregionalen Bevölkerungs- und Siedlungsdynamik. Einen interessanten Kontrast bilden dabei solche Regionen, in denen es nicht zur Entstehung von Fürstensitzen und komplexen Zentren kam. Hier ist nach den Ursachen für die unterschiedliche Siedlungsentwicklung zu fragen.

Die Entstehung zentralisierter Siedlungs- und Gesellschaftsformen setzt die politische und ökonomische Integration von lokalen und kleinregionalen Einheiten in übergeordnete Verbände voraus. Entsprechende Integrationsprozesse sind archäologisch bisher nur schwer nachweisbar. Eine Möglichkeit, die ökonomische Zugehörigkeit lokaler Gruppen zu einem Zentralort nachzuweisen, bietet die chorologische Analyse von Produkten, die in diesen Zentren hergestellt worden sind.

Ein sich neu abzeichnender methodischer Ansatz basiert auf der systematischen Erfassung und GIS-gestützten Auswertung ausgewählter, definierter kultureller Merkmale. Dadurch lassen sich in synchroner Perspektive Cluster lokaler Gemeinschaften erschließen, deren jeweilige Sachkultur einen relativ hohen Grad kultureller Übereinstimmung besitzt. In diachroner Perspektive ergibt sich die Möglichkeit einer systematischen und quantifizierbaren Erforschung der Transmission kultureller Merkmale. Es wird zu untersuchen sein, ob es Korrelationen zwischen fortschreitender Zentralisierung und der Nivellierung lokaler und kleinregionaler Unterschiede gibt.

Eine weitere methodische Herausforderung des SPP stellt der Versuch dar, die territorialen Dimensionen der frühkeltischen Sozietäten zu erforschen. Bei der Beschäftigung mit diesem international aktuellen Thema (Garcia/Verdin 2002) verfolgt das SPP das pragmatische Ziel, Räume zu erkennen, die nach Kriterien der Siedlungshierarchie als Einflusssphäre der jeweiligen Zentralorte zu deuten sind (vgl. z.B. Abels 1989/90). Entsprechende Interpretationen müssen sich auf eine Vielzahl archäologischer und geographischer Daten stützen und können nur vor dem Hintergrund der überregionalen Siedlungsentwicklung vorgenommen werden.


1.4. Interdisziplinarität, beteiligte Wissenschaften

1.4.1. Ur- und Frühgeschichte (Prähistorische Archäologie)
Kerndisziplin des beantragten SPP ist die Ur- und Frühgeschichte, präziser die Prähistorische Archäologie. Sie verfügt über die grundlegenden Methoden, um relevante archäologische Quellen zu erschließen (Prospektion, Ausgrabung), zu dokumentieren, zeitlich und funktional zu bestimmen und einer vergleichenden Analyse zu unterziehen. Die gewählte Thematik weist aber über konventionelle Fragestellungen dieser Disziplin weit hinaus und erfordert neue Ansätze und Methoden, die sich nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit entwickeln lassen.


1.4.2. Klassische Archäologie, Alte Geschichte
Die archäologischen Quellen lassen keinen Zweifel daran, dass es seit dem späten 7. Jahrhundert v. Chr. zu einer Intensivierung der Kontakte zwischen mediterranen und mitteleuropäischen Gesellschaften kam. Diese manifestieren sich u.a. in Bronze- und Keramikgefäßen etruskisch-italischer und griechischer Provenienz, die als Handelsware, als Geschenke oder diplomatische Gaben in den Norden gelangten. Die im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. entstandene Stadtmauer auf der Akropolis der Heuneburg, die nach mediterranem Vorbild aus luftgetrockneten Lehmziegeln errichtet wurde, zeigt jedoch, dass sich diese exogenen Einflüsse nicht auf die Einfuhr von Luxus- bzw. Prestigeprodukten beschränkten. Es stellt sich aber die Frage, wie tiefgreifend sie waren: umfassten sie z.B. nur die Trinksitten oder auch die mit dem griechischen bzw. etruskischen Symposion verbundenen kulturellen Verhaltensweisen? Inwieweit prägten exogene Einflüsse die indigene Kunst, die Bewaffnung und die Kampfesweise? Bezeichnet die Lehmziegelmauer der Heuneburg eine vorübergehende, rein technische Übernahme eines mediterranen Konstruktionselementes oder ist sie Bestandteil eines importierten Siedlungsmodells, das im Kontext mit der Genese analoger politischer und sozialer Strukturen zu sehen wäre? Letztlich ist zu fragen, ob Verhältnissen, die eine Vergleichbarkeit mit dem mediterranen Niveau erkennen lassen, analoge Entwicklungen auf sozialem und urbanistischem Niveau zugrunde liegen.


1.4.3. Kulturgeographie, Historische Geographie
Die diachrone Erforschung von Siedlungs- und Stadtsystemen ist Gegenstand der Kulturgeographie. Obwohl diese Disziplin in aller Regel auf die schrifthistorisch dokumentierten Zeiträume beschränkt bleibt, können ihre Terminologien, Fragestellungen und Methoden in modifizierter Form auch bei der Erforschung prähistorischer Siedlungsprozesse fruchtbar angewendet werden. Hilfreich erscheint insbesondere die Kooperation mit der Historischen Geographie, die, neben aktuellen Perspektiven der „postmodernen“ Stadtgeographie, bis heute auch Ansätze der morphogenetischen und funktionalen Stadtgeographie weiterentwickelt hat. Hier eröffnen sich für die Prähistorische Archäologie Möglichkeiten des Terminologie-, Methoden- und Theorieimports. Umgekehrt erforscht das SPP Phänomene, die auch für die vergleichend-historische Siedlungsgeographie von Interesse sind.


1.4.4. Geo- und Biowissenschaften
Die im späten 7. Jahrhundert v. Chr. einsetzenden Binnenkolonisationsprozesse gingen mit einem erheblichen Bevölkerungswachstum einher. Dies und die folgende Entstehung komplexer Zentren mussten zwingend zu massiven Eingriffen des Menschen in die natürliche Umwelt führen. Dieser anthropogen bedingte Umweltwandel ist insbesondere durch vegetationsgeschichtliche und bodenkundliche Untersuchungen nachweisbar und in einigen der Untersuchungsgebiete bereits gut dokumentiert (z.B. Dörfler u.a. 2000; Löhr 2000; Schäfer 1996).

Gleichzeitig ist aber auch mit natürlichen Umweltveränderungen zu rechnen. So lassen die in den letzten Jahrzehnten erzielten Erkenntnisfortschritte der Paläoklimatologie für den Untersuchungszeitraum relativ kurzfristige Klimaveränderungen und damit einhergehende Veränderungen der Besiedlungsdichte erwarten (u.a. Gaillard/Berglund 1998; Lang 1994; Maise 1998).

Wichtige Erkenntnisse zur sozialen Evolution kann die anthropologische Paläogenetik liefern. Im Vordergrund steht dabei die Verwandtschaftsbestimmung von Individuen, die nach Ausweis der archäologischen Quellen (Grabbau, Beigabenausstattung) der sozialen Elite angehören. Ziel ist der Nachweis bzw. Ausschluss von aristokratisch organisierten Verwandtschaftsgruppen bzw. von Dynastiebildung (z.B. Alt/Munz/Vach 1995). Auf einer übergeordneten Ebene ermöglicht es diese Methode, die Verschränkung von kulturellem Wandel und genetischen Prozessen (Coevolution) zu erforschen.

Botanische Großrestanalyse (Samen, Früchte, Hölzer usw. aus archäologischen Ausgrabungen) und Archäozoologie (Tierknochen und andere Faunenreste) können wichtige Hinweise zu Diffussions- und Akkulturationsprozessen, etwa durch den Nachweis der Einführung neuer Anbaufrüchte und Tierarten, des Imports exotischer bzw. luxuriöser Produkte (z.B. Koralle, Feige oder Koriander aus dem Mittelmeerraum) oder einer im Zuge der Zentralisierungsprozesse erfolgten Intensivierung von Ackerbau, Viehzucht oder Fischerei liefern. Dabei kommt auch der Unterscheidung von landwirtschaftlichen Produzenten- und Konsumentensiedlungen herausragende Bedeutung bei einer Rekonstruktion von Hierarchien und Abhängigkeiten zu (Jones 1985; Jacomet/Kreuz 1999; Kreuz 1993; van der Veen 1991; van der Veen/O’Connor 1998).

Aufgabe der Palynologie (Pollen, Sporen aus natürlichen Ablagerungen) ist die Erforschung der Vegetationsentwicklung im Untersuchungszeitraum sowie in den vorausgehenden und nachfolgenden Jahrhunderten. Publizierte hochauflösende Pollendiagramme, z.B. aus dem nahe dem Glauberg gelegenen Vogelsberg oder aus der Vulkaneifel (Schäfer 1996; Dörfler u.a. 2000), belegen, dass ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. zuvor weitgehend „naturbelassene“ Mittelgebirgsregionen intensiv genutzt wurden. Durch eine systematische Erfassung aller relevanten Pollendiagramme des süddeutschen und ostfranzösischen Raums und durch die gezielte Erschließung weiterer Pollendiagramme im Umfeld der Fürstensitze soll die regionale Vegetationsentwicklung der jeweiligen Landschaften sowie diejenige im Umfeld der Zentralorte rekonstruiert werden.

Die Synthese von archäologischen, geomorphologischen, paläoklimatologischen, archäozoologischen, anthropologischen und archäobotanischen Daten lässt wichtige neue Erkenntnisse zur Wechselwirkung von natürlichem und anthropogen bedingtem Umweltwandel erwarten. Die im Umfeld der Fürstensitze erarbeiteten detaillierten, interdisziplinären Daten sollen in einer Datenbank zusammengeführt und mit Hilfe eines GIS in Form von Entwicklungsmodellen und Landschaftsrekonstruktionen ausgewertet werden. Im Anschluss wird es dann erstmalig möglich sein, lokale und regionale Modelle, basierend auf einheitlichen Parametern, überregional zu vergleichen. Der Vorteil der GIS-Auswertung liegt dabei unter anderem darin, dass einzelne Parameter variiert und ihre Auswirkungen errechnet und sichtbar gemacht werden können. Die dabei gewonnenen methodischen Erfahrungen könnten wegweisend auch für archäologische Untersuchungen anderer vor- und frühgeschichtlicher Epochen sein.


1.5. Arbeitsprogramm und Untersuchungsebenen
Das auf sechs Jahre angelegte Arbeitsprogramm verbindet Lokal- und Regionaluntersuchungen mit überregionalen und interkulturellen Vergleichen (vgl. 1.3.1.). Ausgrabungen, Sondagen, Prospektionen und Datenerfassung sollen innerhalb der ersten vier Jahre abgeschlossen werden. Die beiden letzten Jahre müssen für die Auswertung und die Vorbereitung der Publikation zur Verfügung stehen.

Auf der lokalen Untersuchungsebene sollen einzelne Fürstensitze und Siedlungen mit zentralörtlicher Bedeutung durch gezielte Ausgrabungen und begleitende naturwissenschaftliche Forschungen untersucht werden.

Auf der regionalen Untersuchungsebene wird das jeweilige Umfeld der Fürstensitze bzw. Zentralorte erforscht, wobei alle bekannten archäologischen Fundstellen des 1. Jahrtausends v. Chr. in einem Radius von max. 15 km erfasst werden. Gezielte archäologische Prospektionen und Sondagen sowie naturwissenschaftliche Untersuchungen ergänzen auch hier das Programm.

Auf der überregionalen Untersuchungsebene sollen Siedlungen und Bestattungsplätze des 7. bis 4. Jahrhunderts v. Chr. erfasst und einer Auswertung im Sinne der zentralen Fragestellungen zugeführt werden. Diese Untersuchungsebene sieht auch die Berücksichtigung von Regionen vor, in denen es nicht zur Entstehung von Fürstensitzen bzw. komplexen Zentren gekommen ist.

Schließlich ermöglicht das Arbeitsprogramm eine thematische Öffnung zu interkulturellen Studien. Dies sind einerseits Vergleiche mit Zentralisierungs- und Urbanisierungsprozessen im mediterranen Raum (insbesondere Südfrankreich und Italien), andererseits kulturgeographische Erklärungsmodelle zur historischen Stadtentstehung im Untersuchungsgebiet. Ein weiterer Programmpunkt betrifft den interkulturellen Vergleich des Prunkbestattungsphänomens und seine Interdependenz mit Zentralisierungs- und Integrationsprozessen.


1.5.1. Lokale und regionale Untersuchungsebene: archäologische Erforschung einzelner Fürstensitze und ihres Umlandes
Den Kern des Arbeitsprogramms bilden Projekte, die sich jeweils einem Fürstensitz bzw. Zentralort und seinem Umfeld zuwenden. Da diese Forschungsvorhaben durchweg Ausgrabungen und andere kostenintensive Feldforschungen erfordern, muss ihre Zahl begrenzt sein und daher eine möglichst repräsentative Auswahl getroffen werden. Nur wenige Siedlungen und Regionen sind heute nicht überbaut und für archäologische Untersuchungen noch zugänglich. Gleichzeitig wird bezweckt, die Variationsbreite der Erscheinungsformen solcher Machtzentren im keltischen Verbreitungsgebiet auch über den süddeutschen und ostfranzösischen Kernraum hinaus repräsentativ zu erfassen.

- Glauberg (Hessen): Hier besteht die in Deutschland einmalige Befundsituation, dass nicht nur der Fürstensitz und Grabhügel, sondern auch mit Wall- und Grabenanlagen umhegte Außenbezirke erhalten sind (Abb. 2). Geplant ist einerseits, die bisherigen Ausgrabungen am Ringwall und an den beiden Fürstengrabhügeln aufzuarbeiten, andererseits sollen großflächige Prospektionen und Ausgrabungen im Bereich der 1,5 ha großen, umwallten Außenanlage mit Heiligtum stattfinden. Darüber hinaus wird die eisenzeitliche Besiedlung im Umkreis von 10 km um den Glauberg durch Prospektionen, Sondagen und gezielte Ausgrabungen erforscht werden. Dieses Projekt ist von herausragender Bedeutung, weil es besonders geeignet ist, die Rolle von Grabmonumenten und Heiligtümern bei der Entstehung komplexer Zentren zu erforschen (Überblick mit Literaturangaben: Frey/Herrmann 1997; Herrmann 1998; 2000; Rätsel der Kelten vom Glauberg 2002).

- Ipf bei Bopfingen (Baden-Württemberg)
: Die Bedeutung des imposanten Fürstensitzes Ipf für das Forschungsprogramm ergibt sich u.a. aus seiner singulären Lage im Grenzbereich der Verbreitung von Fürstensitzen und Rechteckhöfen (Krause 2002b). Das Arbeitsprogramm sieht Prospektionen auf der Burg und ihren mächtigen Befestigungsanlagen sowie Ausgrabungen im Bereich von weiteren Rechteckhöfen am Fuß des Ipf vor. Die Außenbesiedlung zeichnet sich durch Eisenverhüttung und durch qualitätvolles Fundmaterial (u.a. mediterrane und ostalpine Importkeramik, hoher Anteil an Drehscheibenware) aus. Ergänzt wird das Arbeitsprogramm durch die Erforschung des bisher unbekannten Umfelds des Fürstensitzes, wobei Prospektionen sowie Ausgrabungen an ausgewählten offenen Siedlungen geplant sind. Von mindestens einer Siedlung (am Ohrenberg bei Benzenzimmern) liegt neben späthallstattzeitlicher Drehscheibenware seit 2002 als Lesefund eine griechische Scherbe vor. Im Jahre 2001 wurden zudem zwei Großgrabhügel am Ipf entdeckt. Einer dieser Grabhügel wird mit Eigenmitteln des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg ausgegraben.

- Ehrenbürg bei Forchheim (Bayern): Dieser in Oberfranken, somit an der Peripherie des späthallstattzeitlichen Fürstengräberkreises gelegene Zentralort besitzt einen relativ späten Besiedlungsschwerpunkt in der zweiten Hälfte des 5. und im frühen 4. Jahrhundert v. Chr. (Abels 1989/90). Er beherrscht eine Siedlungskammer mit zahlreichen kleineren Befestigungen und bietet auf der regionalen Untersuchungsebene ausgezeichnete Voraussetzungen für die geforderte Identifikation territorialer Einflusszonen. Geplant sind Ausgrabungen im Bereich der Befestigungsanlage und der akropolisartigen Erhöhung im Südabschnitt der Anlage. Zudem sollen auch hier systematische Prospektionen und Sondagen sowie gezielte Ausgrabungen offener Siedlungen im Umfeld durchgeführt werden.

- Heuneburg an der oberen Donau (Baden-Württemberg): Aufgrund des weit fortgeschrittenen Forschungsstands ermöglicht die Heuneburg eine sehr gezielte Quellenerschließung. Sie bietet damit ideale Voraussetzungen, um die zentralen Fragestellungen des SPP exemplarisch zu beantworten und neue Ansätze und Methoden praktisch umzusetzen (Kurz 2000a; 2000b; 2001). Das Arbeitsprogramm konzentriert sich auf Prospektionen und Ausgrabungen von offenen Siedlungen in der Donauniederung, die unterhalb der Heuneburg von jüngeren Aufschotterungen überdeckt und gut erhalten sind. Diese Untersuchungen lassen neben herausragenden archäologischen Ergebnissen die Erschließung von gut erhaltenen botanischen Materialien und Proben (u.a. Hölzer für Dendrodatierungen) erwarten. Darüber hinaus sind Ausgrabungen zur Klärung der Ausdehnung der Außensiedlung und der Südsiedlung sowie zur Datierung der bisher als mittelalterlich angesehenen monumentalen Grabenwerke im Vorfeld der Akropolis geplant. Ergänzt wird das Projekt durch gezielte Prospektionen und Sondagen in umliegenden Höhensiedlungen und Grabhügelnekropolen sowie durch eine systematische archäologische Landesaufnahme in einem Radius von 10-15 km um die Heuneburg.

- Bliesbruck-Reinheim (Saarland)
: Das frühkeltische Machtzentrum von Bliesbruck-Reinheim liegt im nördlichen Saarland (Echt 1999; Reinhard 1997). Mit dem „Homerich“ als topographisch herausragendem Siedlungsbereich und den an seinem Fuße gelegenen Fürstengräbern beherrscht es eine der Hauptverbindungen zwischen Ostfrankreich und dem Mittelrheingebiet. Ca. 20-jährige Ausgrabungstätigkeit beidseits der deutsch-französischen Grenze, die sich im Wesentlichen auf den 16 Hektar großen Vicus, die Villa Urbana und das Friedhofsareal konzentriert, zeigt die Weiterentwicklung eines keltischen Machtzentrums bis zur Römerzeit auf. Mit Ausgrabungen an vorgeschichtlichen Siedlungsarealen und Grabhügeln in der Umgebung, insbesondere im HaC/D1-zeitlichen Friedhof von Rubenheim, wurden weitere wichtige Vorarbeiten geleistet. Im Rahmen des DFG-SPP sind zunächst Prospektionen innerhalb der Siedlungskammer von Bliesbruck-Reinheim und ihrem Einzugsbereich geplant. Nachfolgende Ausgrabungen sowie palynologische und archäozoologische Untersuchungen sollen Aufschluss über Zeitstellung, Struktur und Qualität der Bodendenkmale geben.

- Mont Lassois (Burgund, Frankreich)
: Neben der Heuneburg stellt die imposante befestigte Höhensiedlung des Mont Lassois mit ihren griechischen Importfunden sowie mehreren reich und ungewöhnlich ausgestatteten Fürstengräbern und einem Heiligtum in der archäologischen Forschung einen äußerst wichtigen Platz dar (Chaume 2001). Dies rechtfertigt die Aufnahme eines im Ausland gelegenen Projekts in das Arbeitsprogramm. Vorgesehen sind Prospektionen und Ausgrabungen auf dem Mont St. Marcel, dem bisher nahezu unerforschten, akropolisartigen Zentrum der ausgedehnten Gesamtanlage. In einer ersten Arbeitsphase wird seit 2002 durch geomagnetische Prospektion und Sondagen die Datierung der Randbefestigung und der Innenbebauung geklärt. Die im Rahmen des DFG-SPP geplanten gezielten Ausgrabungen auf dem Mont Lassois werden von deutscher Seite beantragt und durchgeführt. Das Projekt wird aber eng mit dem französischen Forschungsprogramm des CNRS zusammenarbeiten und unterstützt damit die Kooperation zwischen beiden Forschungsprogrammen. Im Austausch ist die Mitwirkung eines Grabungsteams des CNRS an einer Ausgrabung des SPP in Deutschland geplant.

- Hohenasperg bei Ludwigsburg (Baden-Württemberg)
: Obwohl die neuzeitliche Überbauung des Hohenaspergs eine direkte Untersuchung des Fürstensitzes selbst unmöglich macht, kann das SPP auf seine Einbindung nicht verzichten. Die reich ausgestatteten Fürstengräber im Umfeld bezeugen die Existenz eines besonderen Machtzentrums für den uns interessierenden Zeitraum, welches darüber hinaus auch ungewöhnlich lange bestanden hat. Die Aufarbeitung von herausragenden Siedlungsbefunden ist weitgehend erfolgt, ihre Ergebnisse sollen ausgewertet und der Zentralisierungsprozess durch gezielte Prospektionen und Sondagen im weiteren Umfeld erforscht werden.

- Zavist (Böhmen, Tschechische Republik): Trotz seiner peripheren Lage bietet es sich an, den Zavist bei Prag in das Projekt zu integrieren, da er für die frühkeltische Archäologie Böhmens von zentraler Bedeutung ist. Grabungen und Prospektionen sind bereits abgeschlossen, so dass es vor allem darum gehen wird, die Forschungsergebnisse in geeigneter Weise (z.B. GIS) mit denen der übrigen Fundorte zu korrelieren und dabei Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

Weitere Fürstensitze und Zentralorte können in das Arbeitsprogramm aufgenommen werden, z.B. der Münsterberg bei Breisach (Baden-Württemberg), der Marienberg in Mainfranken (Bayern) und die Heidenmauer bei Bad Dürkheim (Rheinland-Pfalz). Wünschenswert wäre auch die Integration einer Landschaft, in der Fürstensitze fehlen, aber eine Konzentration unbefestigter Siedlungen und befestigter Gehöfte (sog. Rechteck- oder Herrenhöfe) bekannt ist (z.B. die Umgebung von Straubing, Bayern).

1.5.2. Lokale, regionale und überregionale Untersuchungsebene: naturwissenschaftliche Forschungen
In das Arbeitsprogramm sind wie erwähnt botanische, anthropologische, zoologische und geomorphologische Forschungen eingebunden. Dieser Konzeption liegt ein erweiterter Kultur- und Geschichtsbegriff zu Grunde. Kultur wird dabei als Gesamtheit des durch soziales Lernen Tradierten, einschließlich seiner Äußerungen durch Handlungen, Worte und Dinge sowie seiner Auswirkungen auf die natürliche Umwelt, verstanden. Kulturwandel oder kulturelle Evolution ist zudem unauflösbar verschränkt mit dem Wandel der Biosphäre, einschließlich der genetischen Prozesse.

- Geomorphologische Verhältnisse im Umfeld der Fürstensitze:
Das Substrat für die Vegetations- und Landwirtschaftsentwicklung stellen Böden und Sedimente im Umfeld der Fürstensitze dar. Ihrer Untersuchung kommt daher im Rahmen des geplanten Schwerpunktes eine zentrale Aufgabe zu. Neben einer detaillierten Aufarbeitung der bereits vorhandenen geologischen und bodenkundlichen Daten aus dem Umfeld der untersuchten Plätze werden gezielte Prospektionen erforderlich sein, um z.B. den anthropogenen Einfluss auf die Boden- und Reliefentwicklung abzuschätzen. Dadurch werden grundlegende Informationen zugänglich, um die archäologischen Verbreitungskarten quellenkritisch hinterfragen zu können.

- Vegetationsentwicklung im 1. Jahrtausend v. Chr.
:
Das palynologische Arbeitsprogramm basiert auf der Grundidee, in einem ersten Schritt alle bereits vorhandenen Pollendiagramme im Raum zwischen Zentralfrankreich und Böhmen zu erfassen. Diese Vorgehensweise ermöglicht es bereits in der Anfangsphase des SPP, Modelle zur unterschiedlichen Landschaftsnutzung vor dem Hintergrund der siedlungsarchäologischen Ergebnisse zu entwickeln. Als nächste Schritte können dann gezielte Prospektionen und Bohrungen zur Gewinnung zusätzlicher, für die Beantwortung der zentralen Fragestellungen wichtiger Pollendiagramme durchgeführt werden. Diese Arbeiten werden aber nicht mehr als ein bis zwei Diagramme umfassen.

- Auswirkungen der Zentralisierung auf Landwirtschaft und Ernährung:
Die auf lokaler und regionaler Ebene durchgeführten Ausgrabungen müssen durch ein archäobotanisches, archäozoologisches und anthropologisches Arbeitsprogramm begleitet werden. Geplant ist etwa die vergleichende Analyse von Pflanzen- und Tierknochenfunden aus Fürstensitzen/Zentralorten mit denjenigen aus offenen Siedlungen des Umlandes, um landwirtschaftliche Konsumenten- bzw. Produzentensiedlungen, eine Spezialisierung der Landwirtschaft sowie mögliche mediterrane Einflüsse im Zuge der Zentralisierung zu erforschen. Die neu erarbeiteten Daten aus dem unmittelbaren Umfeld der Fürstensitze sollen mit denjenigen „normaler“ ländlicher Siedlungen verglichen werden. Zur Datenverarbeitung steht das Archäobotanische Datenbankprogramm der KAL kostenlos zur Verfügung (Kreuz/Schäfer 2001). Dieses auf Microsoft-Access basierende Programm ermöglicht nicht nur routinemäßige Auswertungen, sondern ist auch kompatibel mit GIS-Programmen.

- Anthropologische und paläogenetische Untersuchungen:
Geplant ist die genetische Analyse geeigneter menschlicher Skelettfunde aus Gräbern im Umfeld der Fürstensitze zur Verwandtschaftsbestimmung und evtl. zur Rekonstruktion von Hierarchiezusammenhängen. Hier eröffnen sich innovative interdisziplinäre Arbeitsfelder, etwa die vergleichende Rekonstruktion von kultureller und genetischer Transmission. Landesausbau und Binnenkolonisation erfolgen wesentlich über gezielten Einsatz und Nutzung von domestizierten Tieren und Pflanzen der elite dominance und durch Aneignung weiterer domestizierter Arten aus dem regionalen Reservoir. Sie beeinflussen die Biodiversität, auf deren Moderation avancierte Agrarkulturen in großem Umfang beruhen. Genetische Analysen können die Prozesse von Implementierung, Ausbreitung und Verschränkungen innerhalb dieser gesellschaftlichen Entwicklungen abbilden und mit genetischen Informationen der Bevölkerung verknüpfen. Innerhalb der Bevölkerung werden Verwandtschaftsverhältnisse, Bevölkerungsstrukturen und damit Sozialbezüge zugänglich. Für diese neuartigen Forschungskonzepte liegen bisher in der Archäologie keine Vorbilder vor.


1.5.3. Interkulturelle Forschungen
Vergleichende Forschungen zu Zentralisierungs- und Urbanisierungsprozessen südlich der Alpen:
Das Arbeitsprogramm erfordert einen strukturellen Vergleich der Zentralisierungsprozesse in der Hallstatt- und Latènekultur mit jenen Vorgängen, die im 8.-5. Jahrhundert v. Chr. im mediterranen Bereich zur Entstehung komplexer Siedlungen führten. Neben den etruskischen und den griechischen Siedlungen in Unteritalien und Sizilien sollen auch wichtige Zentralorte anderer italischer Völkerschaften sowie südfranzösische Zentralorte im Bereich der dortigen griechischen Apoikien berücksichtigt werden. Geplant ist eine zusammenfassende Analyse der neueren siedlungsarchäologischen Ergebnisse sowie der historischen Forschungen zu den politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Faktoren der Stadtwerdung in diesem Raum. Dies soll nicht nur in Form einer Materialsammlung, sondern auch zweier monographischer Synthesen erfolgen. Im Vordergrund stehen dabei strukturelle Analysen, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Zentralisierungs- und Urbanisierungsprozessen in verschiedenen ethnischen und zivilisatorischen Milieus herausarbeiten.

Auf der Grundlage der in den beiden erwähnten Monographien zu erarbeitenden Entwicklungs- und Strukturmodelle können die Zentralisierungs- und Urbanisierungsprozesse nördlich der Alpen nicht nur auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin überprüft werden, sondern überhaupt klarer konturiert werden. Dies betrifft auch die Beziehungen zwischen Zentralort und Umland, mithin die regionale Siedlungsstruktur. Intensive Feldforschungen haben in den vergangenen Jahrzehnten im gesamten Mittelmeerraum, insbesondere auch in Italien, wichtige neue Erkenntnisse erbracht, welche der zusammenfassenden Auswertung unter der spezifischen Fragestellung der Zentralisierung bedürfen. Ein wichtiges Thema ist auch der Zusammenhang zwischen Grabkultur und Urbanisierung, zwischen Grabluxus und oberirdischer Architektur – oder anders formuliert: Inwieweit ist Urbanisierung abhängig von der Zielrichtung der Kapitalinvestition seitens der Eliten?

Vergleich eisenzeitlicher und historischer Zentralisierungsprozesse:
Die enge Kooperation von Archäologie und Kulturgeographie ist im Arbeitsprogramm verankert. Dieser Programmpunkt basiert auf der Grundidee, den umfangreichen Bestand theoretischer und empirischer Erkenntnisse, den Kulturgeographen bei der Erforschung historischer Zentralisierungs- und Urbanisierungsprozesse erarbeitet haben, für das Thema des SPP nutzbar zu machen. Dabei steht einerseits die Übertragbarkeit aktualistischer und historisch-geographischer Zentralisierungs- und Urbanisierungsmodelle im Vordergrund. Andererseits sollen von kompetenter Seite durch Archiv- und Literaturstudien Daten erhoben werden, welche die Genese und Lage der Fürstensitze vor dem Hintergrund der historischen Zustände und Entwicklungen in den jeweiligen Kulturlandschaften erhellen. Dies sind z.B. Erkenntnisse zur mittelalterlichen bis frühneuzeitlichen Binnenschifffahrt zwischen Zentralfrankreich und Böhmen unter besonderer Berücksichtigung der Schiffbarkeit der Flüsse im Bereich der frühkeltischen Fürstensitze. Diese Untersuchungen sind für die Beurteilung der eisenzeitlichen Handels- und Kommunikationswege wichtig. Weitere kulturgeographische Daten, die im Rahmen siedlungsarchäologischer Auswertungen relevant sind, sind u.a. solche zur historischen Verbreitung und Lagebezogenheit von Handwerk- und Produktionszentren (z.B. Bergbau, Verhüttung, Töpfereien), zur vorindustriellen Subsistenzwirtschaft, zur historischen Demographie, zu diachron stabilen oder wiederkehrenden Landschaftsmustern sowie von Kulturgrenzen und –barrieren (Siedlungskammern, Wirtschaftsräume, territoriale Marker, strategisch-fortifikatorische Schlüsselpositionen, topographisch vorgegebene Altwegetrassen etc.). Diese Studien schließen die vergleichende Analyse der Entwicklung der Fürstensitzstandorte in historischer Zeit ein. Dabei ist die Frage von wesentlichem Interesse, warum einige Standorte, z.B. Bourges, Breisach oder der Mont Lassois, auch in jüngeren Epochen zur Gründung zentraler Orte genutzt wurden, während andere, z.B. Ipf oder die Ehrenbürg, offensichtlich nur unter den spezifischen Bedingungen frühkeltischer Zeit von zentraler Bedeutung waren.

Prunkbestattungen, Grabluxus, Zentralisierung und soziale Entwicklung im interkulturellen Vergleich:
Ergänzt werden soll das Programm durch ein bis zwei interkulturell-vergleichend arbeitende Projekte, die Ursachen und Bedingungen für die Ausbildung von Prunkgrabsitten untersuchen und nach Korrelationen und Interdependenzen zwischen Grabluxus, Siedlungsformen und politischen Organisationsformen forschen. Im Vordergrund steht eine strukturelle Analyse dieser Phänomene in antiken Kulturen des mediterranen und vorderasiatischen Raums (Iberer, Illyrer, Thraker, Skythen; siehe Pare 1996). Diese Arbeiten können sich z.T. auf ein breites, gut publiziertes Quellenmaterial stützen, das den Vergleich zwischen politischen Herrschaftsstrukturen und Prunkgräbern unter dem Aspekt der Zentralisierung ermöglicht. Das Arbeitsprogramm geht über Materialsammlungen und die bloße statistische Korrelation der Phänomene hinaus und strebt die Entwicklung innovativer prozessualer Erklärungmodelle an, die im Sinne komplexer Analogieschlüsse auf ähnliche prähistorische Phänomene - auch anderer prähistorischer Epochen - übertragbar sind.
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2. Verhältnis zu anderen laufenden Programmen

Eine enge Kooperation im Rahmen des geplanten Programmes ist mit einem kürzlich eingerichteten überregionalen französischen Programm geplant, das mit dem beantragten SPP abgestimmt ist. Unter Federführung von Olivier Buchsenschutz und Jan Ralston wird seit einigen Jahren die Zentralregion des Fürstensitzes von Bourges mit einem umfassenden archäologischen und naturwissenschaftlichen Ansatz untersucht. Eine Fülle von Erkenntnisfortschritten, auch aus methodischer Sicht, zeichnet sich ab (Batardy/Buchsenschutz/Dumasy 2001; Buchsenschutz/Ralston 2001). Ein von Claude Mordant koordiniertes Forschungsvorhaben „Vix et son environnement“ ist speziell dem bedeutenden späthallstattzeitlichen Fürstensitz auf dem Mont Lassois und seinem Umfeld gewidmet. Vorrangiges Ziel ist es, durch Prospektion und Grabungssondagen verbesserte Voraussetzungen für eine umfassende Erforschung des Fürstensitzes von Vix zu schaffen. Beteiligt sind an diesem Prospektionsprojekt außer französischen Arbeitsgruppen die Universitäten Kiel und Wien sowie das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg.

Die Einbindung französischer Archäologen (O. Buchsenschutz, C. Mordant, B. Chaume) in die Vorbereitung des hier beantragten SPP hat darüber hinaus dazu beigetragen, ein regionales französisches Forschungsprogramm mit dem Titel „Fonction, hiérarchie et territoire des sites d’habitats hallstattiens de France orientale“ zu konzipieren. Es wurde unter Federführung von Bruno Chaume im Rahmen der Initiative „Action collective de Recherche“ der Ministères de la Recherche, des CNRS und des Institut National de Recherches archéologiques préventives beantragt und ist inzwischen grundsätzlich bewilligt.

Ein analoges Forschungsvorhaben wird unter Federführung von G. Kaenel zurzeit in der Schweiz vorbereitet. Eine Antragstellung beim Schweizerischen Nationalfond ist geplant, so dass die Chance für eine koordinierte internationale Zusammenarbeit mit gleicher methodischer Grundlage und gleichen Fragestellungen besteht.

In Tschechien existiert bereits ein von der dortigen Grantagentur gefördertes Programm zur Erforschung der frühkeltischen Besiedlung des Zavist und seines Umfeldes. Auch hier entsprechen die Fragestellungen in breiten Zügen denen des geplanten SPP, so dass sich eine enge Kooperation anbietet.
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3. Internationale Zusammenarbeit

Da das Verbreitungsgebiet der frühkeltischen Fürstensitze mehrere Länder Europas umfasst, können die Ziele des Projektes erfolgversprechend nur länderübergreifend angegangen werden. Wie in Deutschland waren in Frankreich, der Schweiz, aber auch in Tschechien die Forschungen zu den Fürstensitzen aufgrund des Forschungsstandes bisher im Wesentlichen auf die sie umgebenden Prunkgräber beschränkt. Das ländliche Umfeld bzw. die zur Zentralisierung führenden Prozesse, deren Erforschung im Mittelpunkt des geplanten Schwerpunktprojektes steht, wurden nicht oder nur am Rande berücksichtigt oder hinterfragt. Es liegt deshalb nahe, die Untersuchungen in mehreren Ländern aneinander zu koppeln. Die ausländischen Projekte werden aus eigenen Mitteln finanziert. Dabei handelt es sich in Frankreich und Tschechien um bereits laufende Programme, in der Schweiz um ein geplantes Projekt.

Für die Durchführung des geplanten Schwerpunktprojektes spielt die deutsch-französische Kooperation eine ganz wesentliche Rolle. Erste Ideen zum vorliegenden Programm gehen auf eine schon länger andauernde Zusammenarbeit am Mont Lassois (Burgund) zurück, wo 1993 ein internationales Kolloquium Grundlagen für das hier beantragte Projekt geschaffen hat (Brun/Chaume 1997). Auf Erfahrungen in der deutsch-französischen Zusammenarbeit allgemein blicken A. Haffner, D. Krausse und S. Sievers zurück, die gemeinsam mit französischen Partnern Ausgrabungen in Frankreich (Alesia, Mont Beuvray, neuerdings Mont Lassois) durchgeführt haben bzw. in französischen Gremien mitarbeiten. Enge Verbindungen zu französischen Kollegen pflegen darüber hinaus die meisten unter 4. und 5. genannten Kolleginnen und Kollegen, was auch für die Verbindungen zur Schweiz gilt.

Was die Zusammenarbeit mit Tschechien betrifft, so wird diese, u.a. durch gemeinsame Projekte, die sich mit vergleichbaren Themen befassten, vor allem durch S. Sievers zusammen mit der Prager Akademie der Wissenschaften gepflegt (vgl. dazu auch Lang/Sala_ 2002).

Durch die Zusammenarbeit des beantragten SPP mit den ausländischen Projekten ergeben sich ausgezeichnete Chancen für eine multinationale themaorientierte Forschung, mit dem Ziel einer gemeinsamen, den gesamten Raum der Fürstensitze erfassenden Synthese.
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Letzte Änderung: 23.04.2004